Was wir hier brauchen?
Text: Lausebleibt-Vernetzungs-AG
Vorspann: Die Pläne für einen einen Google Campus in der Ohlauer Straße sind vom Tisch, aber Verdrängungen durch Tech-Konzerne weiter aktuell
Eine Stecknadel als Zeichen des Protests auf einem Stadtplan: Noch bevor Google seinen Rückzug aus dem ehemaligen Umspannwerk in der Ohlauer Straße bekanntgab, verzeichnete eine Online-Karte namens ›Google ist kein guter Nachbar‹ über 400 Einträge von Anwohner*innen, Gewerbetreibenden, Vereinen und sozialen Einrichtungen. Sie alle wandten sich gegen den Google Campus, den der Internet-Konzern hier ansiedeln wollte.
Im Campus sollten ausgewählte Start-Ups gefördert werden. Das Drohszenario einer solchen Unternehmung: Sie und weitere Start-ups ziehen in die Nähe ihres Unterstützers. Das Risikokapital ihrer Investor*innen ermöglicht es diesen Firmen, weitaus höhere Gewerbemieten als bisher üblich zu zahlen. Gleichzeitig trägt der Campus dazu bei, die Gegend in einen hippen Ort für Tech-Arbei- ter*innen zu verwandeln. Auf ihre Bedürfnisse und Lebenskultur richtet sich auch die lokale Ökonomie notwendigerweise aus – es gibt also noch mehr teure Cafés, Restaurants und Bars, und auch die Mietpreise für Wohnungen steigen.
Die Entwicklungen in London und San Francisco bestätigen diese Befürchtungen. In London eröffnete Google 2012 einen Cam pus in Shoreditch. In der Folge verdoppelten sich in nur zweieinhalb Jahren die Quadratmeterpreise für Gewerbe. Bars und Cafés mit happigen Preisen dominieren nun die Gegend. In San Francisco, das in unmittelbarer Nähe zum Silicon Valley liegt, dem Hauptsitz von Google, beträgt die mittlere Monats- miete für eine Einzimmerwohnung um die 3.500 US-Dollar (2.975 Euro), für eine Dreizimmerwohnung sogar mehr als 5.000 US-Dollar (4.250 Euro). Die Zahl der Zwangsräumungen erreicht hier jedes Jahr neue Rekordwerte.
In Kreuzberg hatte sich seit Monaten ein breiter Widerstand gegen die Eröffnung des Google Campus formiert. Neben dem ›No google Cam-pus-Bündnis‹, dem engagierte Nachbar*innen aus Kreuzberg, Neukölln und Treptow sowie die Initiativen ›GloReiche Nachbarschaft‹, ›Lause Bleibt‹ und ›Bizim Kiez‹ angehören, zählten das › Anti-Google-Café‹ in der Bibliothek ›Kalabal!k‹, der ›Counter Campus‹ der kommunistischen Gruppe TOP B3rlin, die technikkritischen Anarchist/innen von ›Google Campus Verhindern‹, ›Fuck Off Google‹ und die Gruppe ›#besetzen‹ dazu. Sie führten Kundgebungen, Lärmdemos und Kiezspaziergänge durch, erstellten und verteilten Broschüren und Info-Materialien. Zuletzt hatte ›#besetzen‹ mit einer Besetzung des Umspannwerks für Aufsehen gesorgt.
In das Umspannwerk sollen nun die Spenden-plattform Betterplace und der Kinder- und Jugendhilfeverein Karuna einziehen, Google will die Umbauten finanzieren und ihre Miete für fünf Jahre übernehmen. Dass der Campus nicht eröffnet wird, ist ein großer Erfolg für den vielfältigen Protest – Widerstand lohnt sich. Nichtsdestotrotz gilt es, die weiteren Entwicklungen kritisch zu verfolgen. Zudem blei ben Kreuzberg und seine angrenzenden Bezirke Teil größerer stadt- und wirtschaftspolitischer Veränderungen, die durch die Ansiedlung von Tech-Unternehmen weiter angetrieben werden. Die ständige Betonung von ›community‹, ›diversity‹ und ›creativity‹ der Start-up Campus und Hubs sind nur hohle Phrasen, die das dahinterstehende Profitstreben kaum zu verschleiern vermögen. So hat etwa Marc Samwer, Mitbegründer des Internet-Unternehmens Rocket Internet, im Mai 2016 die alte Paketstation an der Skalitzer Straße gekauft. Sie wird nun nach und nach als Start-up-Paradies ausgebaut. Die Postfiliale muss weichen. Auch mit den Konzerten im ›Privatclub‹ könnte bald Schluss sein, der Mietvertrag läuft im Oktober 2022 aus.
In Treptow, am Rande des Görlitzer Parks, wurden im September 2016 rund 150 Gewer betreibende und Selbstständige sowie ein Ausbildungsrestaurant verdrängt, damit das Unternehmen ›Factory Berlin‹ die frühere Agfa- Fabrik in der Lohmühlenstraße übernehmen konnte. Bürgermeister Michael Müller, dem ein ›Silikon Valley in Berlin‹ vorschwebt, begrüßte damals ›das größte Clubhaus für Start-ups in Europa‹, der Senat den ›Digitalisierungs-Hub Internet of Things‹. Seither sind im angrenz enden Karl-Kunger-Kiez und Umgebung die Mieten merklich angestiegen. Wie viele andere in der Nachbarschaft sind auch wir als Initiative ›Lause bleibt‹ vom Mieten- Boom, den Tech-Unternehmen auslösen, betroffen. Manche Mieter*innen haben neue Verträge mit bis zu 80 Prozent höheren Mieten angeboten bekommen, andere sollen gleich verschwinden. Als Sitz zahlreicher politischer Initiativen, als Arbeitsplatz für viele oftmals prekär beschäftigte Kreativarbeiter*innen und als Wohnort – für manche seit über 40 Jahren – sehen wir uns nicht als isoliertes Hausprojekt, sondern als Teil des Kampfes für eine Stadt für alle.